„Eine Provokation, die polarisiert und Unfrieden stiften will“

Interview

Blick auf die Hagia Sophia in Istanbul

Herr Nikodemus, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat angekündigt, das Weltkulturerbe Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln. Welches Signal geht von dieser Entscheidung aus?

Rafael Nikodemus: Seit 1934 wird die Hagia Sophia als Museum genutzt. Dieser besondere Ort hat sich zu einem Symbol des interreligiösen Friedens entwickelt. Hier sind christliche und muslimische Traditionen vereint, ohne dass die eine die andere bedrängte. Sie verkörpert die Idee, dass Christinnen und Christen und Musliminnen und Muslime in Frieden miteinander leben können. Die jetzige Entscheidung, die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln, ist zu Recht weltweit als Provokation des türkischen Präsidenten verstanden worden. Eine Provokation, die polarisiert und Unfrieden stiften will zwischen Christinnen und Christen und Musliminnen und Muslimen.

Was bedeutet diese Entscheidung für das Zusammenleben von Menschen verschiedener Konfessionen und Religionen in Deutschland?

Nikodemus: Die Polarisierung beschränkt sich ja nicht auf die Türkei, sie wirkt sich auch auf unser gesellschaftliches Leben in Deutschland aus. Das ist Rückenwind für diejenigen, die sagen, ein friedliches Zusammenleben verschiedener Religionen könne nicht funktionieren. Die Entscheidung des türkischen Präsidenten liefert Stoff für islamfeindliche und nationalistische Populistinnen und Populisten auch bei uns. Das macht unsere Bemühungen um eine gute Nachbarschaft als Christinnen und Christen und Musliminnen und Muslime in Deutschland nicht leichter – aber umso dringlicher.

Hat die angekündigte Umwandlung Auswirkungen auf die Beziehungen von Kirchen und Moscheeverbänden im Rheinland?

Nikodemus: Im Jahr 2018 hat sich die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland für den Dialog mit den Muslimen ausgesprochen. Das gilt auch in schwierigen Zeiten. Dazu gibt es keine vernünftige Alternative. Der Dialog ist der Ort, an dem über unterschiedliche Wahrnehmungen und Einstellungen in angemessener Weise gesprochen und gerungen wird. Das gilt auch für unsere Gespräche mit den Verbänden. Allerdings bedauere ich sehr, dass sich die großen islamischen Verbände in Deutschland bisher zu der Entscheidung des türkischen Präsidenten nicht geäußert haben. Es gibt nur vereinzelt kritische Stimmen. Das werden wir in unseren Gesprächen thematisieren.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, auf die weitere Entwicklung Einfluss zu nehmen?

Nikodemus: Auf internationaler Bühne haben die unterschiedlichsten Politikerinnen und Politiker mit einer eindeutigen Ablehnung der Politik des türkischen Präsidenten reagiert. Auch von Seiten der Kirchen ist deutlich Kritik laut geworden, etwa von der Konferenz Europäischer Kirchen, dem Lutherische Weltbund und dem Papst.
Als Evangelische Kirche im Rheinland führen wir das Gespräch mit den türkischsprachigen islamischen Verbänden. Wir werden deutlich unsere Kritik zum Ausdruck bringen und auch dazu auffordern, die negativen Auswirkungen dieser Entscheidung in Ankara zur Sprache zu bringen. Wir empfehlen auch unseren Gemeinden, ihren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern vor Ort, solche qualifizierten Rückmeldungen zu geben. Wir werden unsere muslimischen Nachbarn nicht haftbar machen für die machtpolitischen Entscheidungen des türkischen Präsidenten. Wir werden aber auch nicht verschweigen, wie unannehmbar sie für uns sind.

Ich möchte gerne auf einen Punkt hinweisen, der mir sehr wichtig ist: Ich denke an unsere orthodoxen und armenischen Geschwister, die als Christinnen und Christen in der Türkei besonders unter dieser Entscheidung des zu leiden haben. Als Evangelische Kirche im Rheinland sind wir vollkommen solidarisch mit ihnen. Wir nehmen sie als Christinnen und Christen, mit ihren Familien und mit ihren Gemeinden in unser Gebet auf. Und wir werden sehr genau hinschauen, wie der türkische Präsident mit dieser Minderheit in seinem Land umgeht.

Zur Person

Rafael Nikodemus ist Kirchenrat im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland. Als theologischer Dezernent in der Abteilung 1 (Theologie, Ökumene) ist er unter anderem zuständig für den Arbeitsbereich Christen und Muslime. Von 2001 bis 2005 war Nikodemus Pastor im Sonderdienst im Kirchenkreis Duisburg und befasste sich mit Islam- und Integrationsarbeit.

  • 22.7.2020
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