Wie kann das sein?

Liebe Gemeindeglieder,

die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten hat in den vergangenen Tagen auch Synagogen, jüdische Einrichtungen und Mahnmale in unseren Städten erreicht. Wir sind erschüttert über die Welle der Gewalt in Gaza und Israel, über die Angst und Verzweiflung, in die sie Menschen auf beiden Seiten stürzt, über die Opfer und das Leid der Angehörigen. Wir sind erschüttert über die scheinbare Ausweglosigkeit aus diesem Jahrzehnte währenden Konflikt mit seiner immer wieder aufbrechenden Gewalt.

Besonders sind wir bestürzt darüber, dass diese bittere Situation in unserem Land benutzt wird, um jüdische Gemeinden mit antisemitischen Gewaltworten und Gewalttaten zu bedrohen und anzugreifen. Was man an Politik des Staates Israel ablehnt, wird Jüdinnen und Juden hier angelastet. Hass auf den Staat Israel entlädt sich gegen unsere jüdischen Landsleute. Judenhass wird getarnt als Kritik am Staat Israel.

Wie kann das sein in unserem Land, dass jüdische Nachbarn und Gemeinden sich fürchten müssen? Wie kann das sein, dass der Weg in den Gottesdienst für Gemeindeglieder zum Angstweg wird und von der Polizei geschützt werden muss? Wir rufen unsere Gemeindeglieder in den Evangelischen, Freikirchlichen und Katholischen Kirchengemeinden auf: Treten Sie mit Herz und Verstand und Mut ein gegen antisemitische Äußerungen und Haltungen, die Ihnen im eigenen Umfeld begegnen – in der Verwandtschaft, am Arbeitsplatz, ja, auch in der eigenen Gemeinde.

Widerstehen Sie einfachen Schuldzuweisungen, schwarz-weißen politischen Deutungen und leichtfertigen Urteilen im Blick auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Der Konflikt zwischen beiden Völkern währt seit Jahrzehnten. Er ist äußerst schwierig und vielschichtig und hat tiefe Wurzeln in der Geschichte und im jeweiligen Erleben. Unsere eigene deutsche Geschichte mit der grausamen Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden hat erheblichen Anteil daran, dass Israel Zufluchtsort vieler Juden wurde. Informieren Sie sich über die vielschichtigen Hintergründe des Konflikts, auch wenn das mühsam ist. Machen Sie nicht mit dabei, aus sicherer Entfernung einseitig Stellung zu beziehen.

Manche Gemeinden engagieren sich in der Arbeit mit Geflüchteten. Sprechen Sie mit Geflüchteten aus Syrien, aus dem Iran, aus muslimischen Ländern, die aus ihrer Situation und Erfahrung heraus mit Hass auf den Staat Israel groß geworden sind und diesen mit hierher bringen als Hass gegen alle Juden. Sprechen Sie mit muslimischen Nachbarn, die von der Geschichte des Holocaust wenig wissen, – da, wo Sie Kontakt haben. Ducken Sie sich nicht weg vor antisemitischen Äußerungen, die Sie mitbekommen.

Als christliche Gemeinden glauben wir an die Treue Gottes zu seinem Volk Israel in aller Welt und auch im heutigen Staat Israel. Wir wissen uns auch den arabischen und palästinensischen Christen verbunden, die unter den Spannungen und jetzigen Gewaltausbrüchen leiden.

Lassen Sie uns den bitteren Konflikt in Israel und Gaza und all die Ausweglosigkeit in das Gebet vor Gott bringen und darin nicht müde werden.

Bringen wir den Antisemitismus und den Hass in unserem eigenen Land vor ihn. Die Kirchen unterstützen Initiativen in Israel, die sich für Versöhnung und Frieden einsetzen. Darüber hinaus können wir wenig Einfluss nehmen auf die Geschehnisse dort. Aber wir können unmittelbar Einfluss nehmen in unserer Stadt.

Lassen Sie uns, als Gemeinden und als Einzelne, für Versöhnung eintreten und für diesen Frieden beten.

Antje Menn (Superintendentin), Thomas Kaster (Stadtdekanat),  André Carouge (Pastor der Friedenskirche)
Wir danken dem Evangelischen Kirchenkreis Wuppertal und dem Katholischen Stadtdekanat Wuppertal für den Aufruf, dem wir uns hiermit anschließen.

Remscheid, am 19. Mai 2021